Amphibienschutzgebiet Turm – oder die Tücken eines Feuchtgebietes

Nordöstlich des Weilers Grünenberg liegt am Waldrand das BNAN-Amphibienschutzgebiet Turm.
Wenn man im Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter am Rand des Feuchtgebietes steht erlebt man immer neue Anblicke und macht neue Beobachtungen. Verschiedene Arten von Molchen, Fröschen, Kröten und Libellen bevölkern den Teich. Mit etwas Glück lässt sich eine Ringelnatter beobachten. Auch die Pflanzenwelt des Naturdenkmals 19/8 braucht sich nicht verstecken. Froschlöffel, Pfeilkraut, Wasserschlauch, Igelkolben, Sumpfcalla und Kalmus blühen am Teich. Ganz zu schweigen von der Krebsschere, die ganze schwimmende Teppiche bildet.

Kaum vorstellbar, dass es sich hier um ein Biotop aus zweiter Hand handelt.
Ab 1979 begannen einige Naturbegeisterte im Bereich der ehemaligen Lehmgrube der Ziegelei auf dem Grünenberg mit Spaten, Schaufel und Schubkarre einen Tümpel zu graben. Nach etlichen erschöpfenden Arbeitseinsätzen im unbarmherzigen Lehm wurde beschlossen, dass wir einen Bagger zur Hilfe nehmen müssen.

Die durch das stark gedüngte Oberflächenwasser von den nahen landwirtschaftlich genutzten Wiesen hervorgerufene Verlandung nachte 1987 – nur drei Jahre nach der ersten Ausbaggerung – einen erneuten Baggereinsatz notwendig. Im Jahr 1994 waren die Tümpel wieder zugewachsen und mussten erneut ausgebaggert werden, dann nochmals 1999. Immer wieder dieselbe Ursache: die Düngung leistete ununterbrochen ganze Arbeit. Also nach Geld schauen und ausbaggern. Zum Glück gab es einen segensreichen Naturschutzfonds!

Im Jahr 2002 eine neue Facette der lästigen Überdüngung. Der neuerdings übermäßig wuchernden Krebsschere musste zu Leibe gerückt werden. Die verfilzten, die Wasserfläche komplett bedeckenden Teppiche der auch Wasseraloe genannten Pflanze wurden jedoch beinahe zu unserem Trauma.
Nach über einem Dutzend Arbeitseinsätzen im Jahr 2002 waren dann große Erfolge zu sehen.

Dann begann das Jahr 2008 und wir hatten ein Problem – die Krebsschere war in alter Formation wieder da. Durch eine weitere Ausbaggerung Ende 2011 und die damit verbundene Umgestaltung der Tümpel wurde versucht, eine Balance zwischen Pflanzen und offener Wasserfläche zu erreichen.

Eine Unterstützung dazu war eine Aktion des Umweltschutzamtes, das mit dem Landwirt vereinbarte, einen etwa 20 Meter breiten Wiesenstreifen vor dem Feuchtgebiet künftig nicht mehr zu düngen. Das nahmen wir mit Dankbarkeit zur Kenntnis, ist doch die überaus gute Unterstützung der Göppinger Naturschutzbehörde für uns eine wichtige Motivation.
Ein halbes Jahr später war im Sommer 2012 von den Eingriffen nichts mehr zu sehen. Man könnte annehmen, dass alles schon immer so war.

Stellvertretend für die Artenvielfalt des Feuchtgebietes Turm wollen wir die hier vorgefundenen Libellenarten erwähnen.

Blauflügel-Prachtlibelle, Calopteryx virgo

Südliche Binsenjungfer, Lestes barbarus

Westliche Weidenjungfer, Lestes viridis

Gemeine Winterlibelle, Sympecma fusca

Gemeine Becherjungfer, Enallagma cyathigerum

Großes Granatauge, Erythromma najas

Kleine Pechlibelle, Ischnura pumilio

Frühe Adonislibelle, Pyrrhosoma nymphula

Torf-Mosaikjungfer, Aeshna juncea

Herbst-Mosaikjungfer, Aeshna mixta

Gestreifte Quelljungfer, Cordulegaster bidentata

Falkenlibelle, Cordulia aenea

Feuerlibelle, Crocothemis erythraea

Große Moosjungfer, Leucorrhinia pectoralis

Vierfleck, Libellula quadrimaculata

Großer Blaupfeil, Orthetrum cancellatum

Gefleckte Heidelibelle, Sympetrum flaveolum

Frühe Heidelibelle, Sympetrum fonscolombii

Große Heidelibelle, Sympetrum striolatum

Gemeine Heidelibelle, Sympetrum vulgatum

Gemeine Binsenjungfer, Lestes sponsa

Glänzende Smaragdlibelle, Somatochlora metallica

Hufeisen-Azurjungfer, Coenagrion puella

Plattbauch, Libellula depressa

Gemeine Pechlibelle, Ischnura elegans

Schwarze Heidelibelle, Sympetrum danae

Blaugrüne Mosaikjungfer, Aeshna cyanea

Blutrote Heidelibelle, Sympetrum sanguineum

Große Königslibelle, Anax imperator

 

Im Frühjahr 2014 ist diese Liste auf 31 beobachtete Libellenarten angewachsen. Dies ist immerhin 1/3 der bisher in Deutschland gefundenen Arten.


Libellen am Feuchtgebiet Turm – oder wofür wir uns einsetzen!

Turm Libellen Großes Granatauge Mänchen

Warum opfern wir unsere freien Samstage? Warum vergießen wir Schweiß anstatt am Baggersee, im Freibad oder im Eiscafé zu relaxen? Eigentlich ist es ganz einfach: wir wollen die Artenvielfalt erhalten. Uns ist es eben nicht egal, dass immer weniger Frösche durch die Landschaft hüpfen, immer weniger Schmetterlinge fliegen und immer weniger Vögel zwitschern.

Je großflächiger, je eintöniger die Landschaft ist, desto weniger Arten sind dort zu finden. Schleichend sind in den letzten Jahrzehnten die kleinen, nutzlosen Randbiotope verschwunden. Tümpel, die bei uns Hülen heißen, feuchte Stellen, Feldraine, Feldhecken standen einer effizienten Nutzung im Weg und sind jetzt weg.

Im Umkehrschluss gilt: je vielfältiger die Landschaft, je vielfältiger das Biotop ist, desto mehr Arten kommen darin vor. Bei der Artenvielfalt unseres Feuchtgebiets am Turm denken wir zuerst an die dort vorkommenden Amphibien, an die unterschiedlichen Pflanzen, vielleicht noch an die Vögel. Die Artenvielfalt der Insekten fällt hingegen aufgrund deren Größe nicht sofort ins Auge.

Daher wollen wir die Libellen als Botschafter der Artenvielfalt ins Bild setzen. Über 30 unterschiedliche Arten konnten wir dort schon feststellen. Auf alle Arten einzugehen würde sicherlich diesen Rahmen sprengen. Deshalb beschränken wir uns auf die Hälfte der Libellenarten unter dem Gesichtspunkt Strukturvielfalt = Artenvielfalt.

Die Westliche Weidenjungfer benötigt für ihre Eiablage am Ufer stehende Weiden oder Erlen, deren Äste über die Wasseroberfläche hängen. Das Weibchen legt die Eier unter die Rinde dieser Gehölze. Die im nächsten Frühjahr schlüpfenden Larven lassen sich ins Wasser fallen. Fällt eine doch an Land, dann hüpft die Larve Richtung Wasser. An idealen Bäumen kann es auch mal zu einem Gedränge mehrerer eiablegender Paare kommen.

Gewässer mittlerer Größe mit Wald und Bäumen in der Nähe ist der Lebensraum der Glänzenden Smaragdlibelle und ihrer Schwesterart, der Falkenlibelle. Während die erste Art ruhelos im Schatten fliegt, meidet die Falkenlibelle schattigen Bereiche und fliegt am besonnten Ufer.

 
Wichtig sind für Männchen der am Turm vorkommenden Heidelibellen – der Großen Heidelibelle und der Blutroten Heidelibelle – erhöhte Sitzwarten, von der aus sie nach Beute und paarungsbereiten Weibchen Ausschau halten. Zur Eiablage sucht das Weibchen der Blutroten Heidelibelle im Sommer ausgetrockneten, im Frühjahr überfluteten Stellen mit dichter, niedriger Vegetation auf.
 
 
Ganz andere Strukturen benötigt die Gemeine Binsenjungfer. Sie braucht zur Eiablage senkrecht aus dem Wasser ragende Halme, beispielsweise die namensgebende Binsen.
 
 
Der Vierfleck kann leicht von den anderen Libellen unterschieden werden. Er hat auf der Vorderkante jedes Flügelpaars vier dunkle Flecken, also auf jedem Flügel zwei. Das Männchen thront auf einer erhöhten Sitzwarte, zu der es immer wieder zurückkommt. Er kommt gern an besonnten, vegetationsreichen Gewässern mit freier Wasserfläche vor.
 
 
Auch die Große Königslibelle bevorzugt sonnige, pflanzenreiche Teiche und Tümpel mit offener Wasserfläche. Das Männchen patrouilliert ausdauernd über dem Wasser und vertreibt andere Libellen aus seinem Revier.
 
 
Im Röhrichtbereich des Gewässers ist die wärmeliebende Keilfleck-Mosaikjungfer zu finden. Ihre Patrouille entlang des Schilfes unterbricht sie immer mal wieder für längere Ruhepausen im Schilf. Die Torf-Mosaikjungfer ist im Tiefland eine typische Libelle der Moore ist. Mit zunehmender Höhenlage nimmt diese Bindung ab. Im Mittelgebirge kommt sie auch an Waldweihern vor.
 
 
Erst seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Feuerlibelle in Süddeutschland heimisch. Die ursprünglich aus der Mittelmeerregion stammende Art hat sich inzwischen bis nach Norddeutschland ausgebreitet. Ihr Lebensraum sind flache, sich schnell erwärmende Gewässer mit üppiger Unterwasservegetation. Angrenzende Hochstaudenfluren und Wiesen – wie sie an der dritten Seite unseres an zwei Seiten an den Wald grenzenden Dreieck-Grundstücks vorhanden sind – werden von der Feuerlibelle als Jagd- und Ruhegebiet genutzt.
 

Eine sehr scheue Libelle ist das Große Granatauge. Die Männchen sitzen gern auf den Schwimmblättern in der Teichmitte und verteidigen ihre kleinen Reviere gegen Eindringlinge. Die Eiablage findet an den Stängeln der Wasserpflanzen statt. Dazu kann das Weibchen bis zu 60 Zentimeter tief eintauchen und fast eine Stunde unter Wasser verharren.

Unter den Libellen gibt es auch anspruchslose Arten, die vielerlei Gewässer besiedeln. Natürlich kommen auch diese am Turm vor. Aber auch am Gartenteich. Die Rede ist von den beiden Kleinlibellenarten Früher Adonislibelle und Hufeisen-Azurjungfer, sowie der Großlibellenart Blaugrüner Mosaikjungfer. Obwohl die Blaugrüne Mosaikjungfer ein geschickter Flugjäger ist, verfliegt sie sich gelegentlich in unsere Wohnungen.
Keine Angst! Libellen können nicht stechen! Auch wenn das hartnäckigen Gerücht das Gegenteil behauptet.
 
 
Alle am Turm vorkommenden Libellen überwintern als Ei oder als Larve. Alle? Es gibt eine Ausnahme: die Gemeine Winterlibelle. Sie ist die erste Libelle im Jahr, die am Turm beobachtet werden kann. Ihr Lebensraum sind Gewässer mit Röhricht und Seggen. Überwintert wird in geschützten Quartieren, die, falls in Gewässernähe keine vorhanden sind, auch einige Kilometer weit weg sein können.
 
 

Strukturvielfalt = Artenvielfalt. Manche Standortfaktoren liegen nicht in unserer Hand. Beispielsweise der angerenzende Wald mit seiner Vielzahl unterschiedlicher Baumarten oder die Heuwiese auf der anderen Grundstücksseite. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die örtliche Forstverwaltung und Landwirtschaft für die partnerschaftliche Zusammenarbeit. In unserer Hand liegt unser Feuchtgebiet Turm, dessen Zustand wir durch vorsichtige, aber stetige Pflege im Hinblick auf die Artenvielfalt erhalten. Gelegentlich muss zur Pflege auch der große Hammer in Form eines Maschineneinsatzes, wie in diesem November geschehen, herausgeholt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich das Gleichgewicht zwischen Licht und Schatten, zwischen offener Wasserfläche und Röhricht zu Ungunsten der Artenvielfalt verschiebt.

Auch diese, auf den ersten Blick vielleicht etwas rabiat wirkende Maßnahme, die wir in Kooperation mit dem Landschaftserhaltungsverband Göppingen durchgeführt haben, sichert den Lebensraum einer Libelle am Turm, der Großen Moosjungfer. Die Große Moosjunger ist eine als gefährdet eingestufte Art, die nach der europäischen FFH-Richtlinie den höchsten Schutzstatus genießt.

Das Vorkommen dieser seltenen Libelle am Turm und deren Arterhalt ist uns ein besonderes Anliegen.

Historisches, ohne melancholisch zu werden

BNAN Feuchtgebiet Turm - die Anfänge 1979

„Heast as nit, wia die Zeit vergeht“ ….“Die Jungen san oid worn….“
Für Melancholie besteht eigentlich kein Anlass. Anlass besteht zur Freude. Zur Freude über mehr als 40 Jahre BNAN Bezirksgruppe Geislingen. Zur Freude über viele aktive Helferinnen und Helfer, die die Ideale derer, die 1979 mit Spaten, Schaufel und Schubkarren geschuftet haben um unseren Mitgeschöpfen ein Überleben zu ermöglichen, immer noch leben. Wie in allen anderen Naturschutzvereinen auch: ehrenamtlich, unentgeltlich und die Freizeit „opfernd“.
 
Wir haben im Archiv gewühlt und gegraben. Hier ein paar Bilder von unseren Anfängen am Feuchtgebiet Turm: 1979 als Kontrast zum Maschineneinsatz.

November 2020 – der bislang letzte Maschineneinsatz am Turm

Es sieht auf den ersten Blick martialisch aus – schweres Gerät in und am unserem Turm-Tümpel.

Nachdem wir dort seit fast zehn Jahren keine größeren Eingriffe mehr gemacht haben, ist es jetzt an der Zeit das üppig wuchernde Schilf zurückzudrängen. So harmonisch ein sich selbst überlassener Teich auch wirkt, unser dortiges Hauptaugenmerk liegt im Erhalt bedrohter Amphibien und Libellen. In unserem Feuchtgebiet kommen viele verschiedene Arten, darunter auch streng geschützte FFH-Arten, vor. Über 30 unterschiedliche Libellen – immerhin ein Drittel der in Deutschland vorkommenden Arten – haben wir dort schon nachgewiesen. Deren Lebensraum – die offene Wasserfläche – wurde vom Schilf im Lauf der Jahre immer mehr verkleinert.

Obwohl das schwere Gerät im Teich etwas befremdet: mit dem eingesetzten Schwimm-Ketten-Mäher der Firma Schäfer konnte der Eingriff sehr schonend durchgeführt werden. Der Teich zeigte plötzlich wieder Ecken, die sich jahrelang hinter dem Schilfvorhang versteckt hatten. Im nächsten Frühjahr, als die Vegetation wieder erwachte, musste sehr genau hingeschaut werden, um noch Spuren der kurzfristig martialisch wirkenden Pflegemaßnahme zu erahnen.

Manchmal muss man zur dauerhaften Sicherung eines Lebensraums eben klotzen.