Tag der Artenvielfalt 2025 – Natur und Kultur am Oberböhringer Berg

Unmittelbar hinter dem Geislinger Ortsschild betritt man am Oberböhringer Berg eine ganz andere Welt. Hier die Stadtrandsiedlung, dort das Geislinger Streuobstwiesen-Paradies. Ein vielfach bedrohtes Paradies! Irgendwann wird der Berg im Zuge der – auch in unseren Augen notwendigen – B10-Ortsumfahrung umgegraben, umgestaltet, die Lebensräume werden weiter fragmentiert.

Auch wenn uns die Trasse des Straßenneubaus auf unserer Exkursion am Tag der Artenvielfalt über eine längere Wegstrecke begleitete, unser Augenmerk lag auf der Artenvielfalt dieser vielfältigen, kleinteiligen Kulturlandschaft. Streuobstwiesen, unterschiedlichst genutzt – zwischen den Extremen „Wochenend-Obstbaumwiese mit wöchentlichem rasenmähen“ und „undurchdringlicher, von Heckenrosen und Brombeeren überwucherter Dornröschen-Wildnis“ finden sich noch viele traditionelle Hochstamm-Streuobstwiesen.

Exkurs FFH-Mähwiesen

Viele der Wiesen am Oberböhringer Berg sind als FFH-Flachland-Mähwiesen kartiert und besonders geschützt. Das Land Baden-Württemberg weist in Deutschland, vermutlich sogar EU-weit eines der bedeutendsten Vorkommen dieser artenreichen Mähwiesen auf. Diese besonders blütenreiche Wirtschaftswiesen sind durch extensive Nutzung (ein- bis zweimaliger Mahd, geringer Düngung) entstanden. Traditionell wurden wiese Wiesen als Heuwiesen genutzt, die Wiesenpflanzen haben sich über Jahrhunderte an den Mähtermin angepasst. Aufgrund ihrer hohen naturschutzfachlichen Bedeutung sind artenreiche Mähwiesen im Rahmen der Fauna-Flora-Habitat (FFH) Richtlinie als FFH-Mähwiesen unter europäischem und nationalem Schutz gestellt.

Zum Zeitpunkt unserer Exkursion waren viele der Wiesen schon gemäht und abgeräumt. Statt dürrem Heu wird heute nährstoffreiche Silage gewonnen. Der Mähzeitpunkt Mitte Mai ist für den Erhalt der FFH-Mähwiesen – von einer Aufwertung der Wiesen wollen wir nicht einmal träumen – sicherlich zu früh. Andererseits sind die Wiesen am Oberböhringer Berg zum größten Teil mit starkwüchsigen, hochstämmigen, großkronigen, in lockeren Beständen stehenden Obstbäumen bestandene Streuobstwiesen. Schwierig zu bewirtschaften, die „Gütles“-Besitzer werden froh sein, einen Landwirt gefunden zu haben, der die Wiesen mäht. Diese offene, lichte, parkähnliche Obstbestände sind eine einzigartige, historisch entstandene Form des extensiven Obstbaus. Streuobstbestände sind häufig aus Obstbäumen verschiedener Arten, Sorten und Altersklassen zusammengesetzt und gehören zu den artenreichsten Landnutzungsformen Europas.

Exkurs Vögel der Streuobstwiesen

Bei unserer Exkursion am Samstagnachmittag waren die Vögel mit Brut und Jungenaufzucht viel zu beschäftigt, um sich für uns – vielleicht sogar singend – in Pose zu setzen. Es gibt sie aber, die Charaktervögel der Geislinger Streuobstwiesen.


Der Vogel unserer Streuobstwiesen ist der Halsbandschnäpper. Der Brutbestand in Deutschland beträgt nur 3.000 bis 6.000 Brutpaare, davon brüten einige Wenige in den Streuobstwiesen am Oberböhringer Berg. Der Halsbandschnäpper ist in Deutschland als „gefährdet“ eingestuft.
Der Gartenrotschwanz ist als Höhlen- und Halbhöhlenbrüter stark an alten Baumbestand gebunden. Seine Nahrung sucht er gerne – ebenso wie der Hausrotschwanz – in der aufgelockerten Krautschicht.
Der Hausrotschwanz – Vogel des Jahres 2025 – ist im engeren Sinn kein Charaktervogel der Streuobstwiese. Da zu jedem Gütle auch eine Heu- oder Gerätehütte gehört, findet auch der Hausrotschwanz am Oberböhringer Berg genügend geeignete Brutmöglichkeiten.
Ein weiterer Charaktervogel der Streuobstwiese ist der Wendehals, eine zu den Spechten gehörende Vogelart, die aus dem Specht-Schema fällt. Als einziger Specht ist er ein Langstreckenzieher, der südlich der Sahara überwintert. Als einziger unserer Spechte zimmert er keine eigene Bruthöhlen. Er nutzt für seine Brut Nistkästen, natürliche Baumhöhlen oder als Nachmieter die Höhlen anderer Spechte – beispielsweise die des Grünspechts, einem weiteren Vogel, der regelmäßig auf den Streuobstwiesen anzutreffen ist. Auch der Wendehals ist in der Roten Liste als gefährdet eingestuft. Der Wendehals ist ein Beispiel, dass alles mit allem zusammenhängt: ein geeigneter Brutlebensraum (alte Bäume mit Bruthöhlen). Nahrungslebensraum (offene, vegetationsarme Bodenstellen, Trockenrasen, Wegraine, Wiesenwege, wo er seine Hauptnahrung – Ameisen – finden kann). Die Ameise hat ihrerseits Ansprüche an Klima, Düngung und Bewuchs.
Am Oberböhringer Berg ist auch der Neuntöter zu finden. Er ist nicht unbedingt ein Charaktervogel der Streuobstwiese. Der Neuntöter profitiert von der Nutzungsaufgabe der Wiesen. Aufkommende Heckenrosen, Brombeeren, Weißdorn- und Schlehengebüsche in der offenen Landschaft sind sein Lebensraum.

Die Mischung macht die Artenvielfalt. Dann ist die eine, intensiv gemähte Wochenend-Obstbaumwiese unter vielen extensiv bewirtschafteten Wiesen kein Problem, sondern ein Mosaikstein in der vielfältigen Landschaft, wie sie am Oberböhringer Berg noch vorhanden ist. Die Bewirtschaftung der Obstbäume ist arbeitsintensiv, die Ernte des Obstes geht ins Kreuz, der monetäre Ertrag der Obsternte tendiert gegen vernachlässigbar. Hut ab vor den Männern und Frauen, die als Einzelkämpfer oder im Verein (z.B. Förderverein Geislinger Apfelsaft) die Vielfalt der Obstsorten und die Artenvielfalt am Oberböhringer Berg erhalten. Möglicherweise geht das nur mit Abstrichen bei der Graswirtschaft. Zumindest so lange bis jemand in Brüssel eine Geldquelle öffnet und die Heunutzung finanziell rentabel fördert.


Unser Weg führte uns vorbei an sumpfigen Quellaustritten, Waldrändern mit blühendem Alpen-Ziest, vorbei an klappernden Klappergrasmücken und singenden Gartengrasmücken, vorbei an einem kleinen Bestand mit blühenden Weißem Waldvögelein zum Schillertempel, dem Rast- und Wendepunkt unserer Exkursion.

Exkurs Schillertempel

Freude, schöner Götterfunken,Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligthum.(Ode an die Freude)

Was hat Schiller mit Bad Überkingen zu tun? Wenig!
Carl Haegele, seines Zeichens „Geheimer Kommerzienrat“ war ein vielbeschäftigter Mensch. Neben seinem Hauptjob als Geschäftsführender Direktor bei der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen betrieb er auch noch ein Zementwerk in Geislingen. Nachdem er immer noch nicht ausgelastet war, hat er 1896 noch das Badhotel in Bad Überkingen erworben. Ein echter Macher! Wobei sich sein „Machen“ von unserem #einfach.machen unterscheidet. Er hat seine Arbeiter und Arbeiterinnen machen lassen und seinen Geldbeutel und den seiner Aktionäre gefüllt, wir machen selbst, packen selbst Hand an – ehrenamtlich! Zum Erhalt unserer Artenvielfalt.

In einem sind wir Carl Haegele ähnlich – auch er scheint ein richtiger Schwabe gewesen zu sein. Der Schillertempel, den er 1905 zur Erbauung seiner bürgerlichen Kurgäste errichten ließ, der war in Stuttgart übrig und billig zu haben.

Vorbei an mit Mädesüß, Minze und Binsen gesäumten Wiesenbächlein, unbemerkt über den Hauptstollen der Eisenerzgrube „Staufenstolln“ hinweg führt der Rückweg zur Fils. Unterwegs hat sich uns kurz einer der „ornithologischer Highlightvögel“ gezeigt: ein Neuntöter. Entlang der Hinteren Siedlung, eines einst für die Familien der Bergmänner erstellten Wohnquartiers zum hydrologischen Highlight unserer Exkursion, zu den versteckten Sieben Rondellen. Die Fils überwindet dort in einem Mini-Canyon eine mehrere Meter hohe Braun-Jura-Stufe. Bei unserem Besuch friedlich, trotzdem imposant, bei Hochwasser rauschend und beängstigend. An den Sieben Rondellen haben wir dann noch eine futtertragende Gebirgsstelze und eine Wasseramsel mit flüggem Jungvogel entdeckt. Beides Charaktervögel der Oberläufe unserer Flüsse.

Mal wieder eine abwechslungsreiche Exkursion mit vielen kleinen Sehenswürdigkeiten. Natürlich waren wir auch dieses Mal in unserem legendären BNAN-Exkursions-Tempo unterwegs. Über vier Stunden für 6,5 Kilometer. Zum DFB-Pokalfinale am heimischen Fernseher hat es trotzdem locker gereicht.

Finale, oh oh!